Nachlese: Zoom des 5. fem!-Lehrganges am 26. August 2022
mit Dr.in Leandra Bias

Dr.in Leandra Bias, Politikwissenschaftlerin, gestaltete die Lehrveranstaltung zum Thema Anti-feministischer Backlash in Osteuropa.

Sie  wird ab Oktober 2022 an zwei Forschungsprojekten zu Anti-Feminismus der Universität Bern arbeiten und berichtet von ihrer Exponiertheit und der persönlichen Betroffenheit über den Krieg in der Ukraine und damit verbundene diffamierende Tendenzen. Seit 10 Jahren nimmt sie eine Verstärkung der anti-feministischen Bewegung wahr. Diese ist transnational ausgerichtet, verfügt über eine hohe Finanzierung und es vernetzen sich darin unterschiedlichste Akteur:innen. So sind bspw. die katholische und die orthodoxe Kirche sowie Evangelikale involviert, ebenso diverse Think Tanks und NGO’s t, wobei Ordo Juris in Polen speziell zu erwähnen ist. Der World Congress of Families stellt sich gegen sexuelle Minderheiten und gegen Geburtenkontrolle und propagiert stattdessen die „natürliche Familie». Er wird wesentlich finanziert durch zwei russische Oligarchen und verfügt mittlerweile über regionale Ableger. Diese reaktionäre Bewegung liefert Argumente auch an den Europarat, erteilt Briefings an rechtspopulistische Politiker:innen und geht auch ohne direkte Aussicht auf Erfolge vor. Im Angebot ist z.B. ein umstrittener Medikamenten-Cocktail, der die Einnahme der Pille danach rückgängig machen soll. Seit 2008 wurden 88 Mio US$ an die Organisation gesprochen.

Damit handelt es sich nicht um ein Phänomen Osteuropas; sind doch der Marsch fürs Läbe, besorgte Eltern und die Piusbrüder auch bei uns aktiv mit dem Ziel des Machterhalts und der Machtsteigerung. Siehe: Home | openDemocracy

Weitere, besorgniserregende Entwicklungen sind der Ausstieg der Türkei aus der Istanbuler Konvention und auch die Planung einer alternativen Warschauer Konvention in Polen, wonach die Ehe nur für Mann und Frau Gültigkeit haben soll. Weitere Länder haben diese Entwürfe bereits in Betracht gezogen!

Die Teilnehmerinnen des 5. Lehrganges äussern sich zu ihrem persönlichen Erleben. Es herrscht grosse Sorge über diese Lobby, die eigenen Töchter und deren Selbstentfaltung, die drohende Machtlosigkeit und den damit verbundenen Verlust selbstverständlich scheinender Rechte und Gewissheiten und dem Mittun von Frauen. Auch in der Schweiz und Deutschland hören wir Sätze wie „ihr habt ja die Gleichberechtigung und es reicht mit dem Feminismus“. Werden Argumente autoritärer Herrscher aufgrund fehlenden Bewusstseins kolportiert?

Zeichnen sich Erfolge der Frauen ab, erfolgen Präventivschläge. Judith Falludi; „Die Männer schlagen zurück“ – taz.de. Andrew Tate, erschreckendes Beispiel der Frauenfeindlichkeit: Inside the violent, misogynistic world of TikTok’s new star, Andrew Tate | TikTok | The Guardian.

Die Gewalt gegen Frauen erfolgt oft nach dem Ende eines Konfliktes. Es ist die Reaktion auf Erfolge und auf eine alternative Weltordnung. Beata berichtet direkt vom backlash in Polen, wo Anzeigetafeln mit dem Text „wo sind die Kinder“ mit dem Bild von Jesus stehen. Die autoritäre Propaganda ist allgegenwärtig und der Alltag in Polen fühlt sich nicht christlich an, sondern verstärkt wie bspw. im Iran. In den aktuellen Schulbüchern werden Botschaften gegen die EU sowie gegen trans- und homosexuelle Menschen verbreitet.

Leandra erwähnt weitere Beispiele für den backlash, so die zwei Initiativen in der Schweiz, die gegen die Abtreibung aufrufen. Feminismus und Genderideologie sei Neoimperalismus und führten dazu, dass eine Nation die Reproduktion verliere. So wurde sogar im russischen Sicherheitsrat darüber beraten, welche Abwehrstrategie gegen den westlichen Neoimperalismus angewandt werden könne. Rechtsstaat, Menschenrecht und demokratische Werte sind mitgemeint. Alle Geschlechterforschungszentren in Russland wurden als sog. ausländische Agenten geschlossen. NB: Abtreibung war zu Sowjetzeiten zu jeder Zeit legal gewesen. Der nun erfolgte Angriffskrieg erfolgt zugleich mit einer hohen Repression gegen innen, der massiven Aggression gegen aussen und einer starken Verbandelung mit rechten Strömungen. Die Ukraine dient als Spielball und Pufferzone und erlebt einerseits eine Re-Traditionalisierung und eröffnet zugleich den Frauen neue Ermächtigungen und Handlungsspielräume. So wurde bspw. die Istanbul Konvention im Eilverfahren ratifiziert und Frauenhass ist ein Tabu. Polen mit seinen anti-demokratischen und anti-feministischen Strömungen hingegen ist eine sehr ambivalente Schutzmacht der Ukraine. In Polen – im Gegensatz zur Ukraine – gibt es keine Möglichkeit, eine Abtreibung vornehmen zu lassen.

Die Fragestellungen der fehlenden Visionen und Auseinandersetzung mit der Frage, wofür wir stehen und was uns wichtig ist im Alltag, sind jetzt an die Hand zu nehmen. Eine globale Strategie der Vernetzung innerhalb der Fortschrittlichen und auch der Feminist:innen mit dem ihr gehörenden Narrativ gehört dazu. Fachwissen soll erarbeitet werden an zu schaffenden Lehrstühlen über die Terrae Incognitae Weissrussland und die Ukraine. Wir haben jetzt eine Denkpause erhalten, denn Ukraine is buying time for us! So ist es eben nicht Putin, der bspw. in der CH über die Rücknahme des Schutzstatus S entscheidet, sondern wir Schweizer:innen. Es liegt an uns, uns mit ukrainischen und russischen Feminist:innen zu vernetzen und diese Verbindungen zu stärken.

Lesetipp: Der Weg in die Unfreiheit von Timothy Snyder. Bücher | Orell Füssli (orellfuessli.ch)

Feminist Politics | Leandra Bias

Monika Steineberg/28.08.22