nachgefragt und nachgedacht


von Monika Steineberg und Ulrike Reiche

Ende August 2022 zogen Berichte durch die Medien, demnach Aktivist:innen die Scheiben eine Zürcher Helsana-Filiale beschmierten (z.B. Beitrag bei Watson.ch vom 25.08.2022 und in der NZZ vom 30.08.2022). Hintergrund der Aktion ist die Kooperation der Krankenkasse mit Pro Life, einem Verein aus dem christlich-konservativen Milieu, in dem Abtreibungsgegner organisiert sind. Der Verein ist global aktiv, z.B. mit Demonstrationen vor Beratungsstellen oder Abtreibungskliniken, verfolgt aber auch wirtschaftliche Interessen.

Im Rahmen eines Kollektivvertrages bietet Helsana weiblichen Mitgliedern, die eine Pro Life-Mitgliedschaft nachweisen, einen 10%igen Rabatt auf Zusatzversicherungen an. Dafür müssen die Frauen bestätigen, dass sie keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen.

Die Aktivist:innen kritisieren, dass die Krankenkasse eine Organisation unterstützt, die das Grundrecht auf Selbstbestimmung aktiv bekämpft. 

Die Debatte um diese fragwürdige Kooperation ist nicht neu: seit 2003 gibt es immer wieder Berichte, die sich kritisch mit den Geschäftsinteressen von Pro-Life auseinandersetzen. So beleuchtet BEOBACHTER in 05/2021 unter dem Titel „Ziemlich viel win-win“ die finanziellen Interessen und die organisatorischen Verflechtungen von Pro Life. Die Interpellation 16.3834 „Schwangerschaftsabbruch. Sind die Mitglieder von Pro Life richtig informiert?“ der grünen Politikerin Lisa Mazzone aus dem Jahr 2016 wird im amtlichen Bulletin als „teilweise befriedigt“ ausgewiesen.

Bislang hat sich Helsana auf die Position zurückgezogen, dass man die politischen Positionen der Versicherten nicht beurteile und niemand vom Versicherungsschutz ausnehme, unabhängig von der politischen, religiösen oder sexuellen Orientierung.

Eine aktuelle Recherche auf Swissinfo.ch, nahmen Martine Docourt und Tamara Funiciello, Co-Präsidentinnen der SP-Frauen Schweiz zum Anlass für einen offenen Brief an die Helsana-Geschäftsleitung: hierin fordern sie dazu auf, die Verträge mit Pro Life aufzulösen und jegliche Zusammenarbeit mit der Anti-Abtreibungsorganisation zu beenden. Die Politikerinnen argumentieren:

Das Recht auf Abtreibung ist ein Grundrecht, für das Generationen von Frauen in der Schweiz und auf der ganzen Welt gekämpft haben und immer noch kämpfen. Durch die Zusammenarbeit mit Pro Life, unterstützt Helsana eine Bewegung, welche dieses Grundrecht und damit auch die physische und psychische Gesundheit von Frauen direkt angreift.

Der offene Brief kann hier gezeichnet werden.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Helsana-Geschäftsleitung zu dem weiteren Druck aus der Zivilgesellschaft stellt.

 

P.S. Die Helsana-Konkurrentin CSS hat den Vertrag, den sie mit Pro Life hatte, per Ende 2021 gekündigt.

P.P.S. wir haben den Eindruck, dass ganz grundsätzlich der Umgang der schweizerischen Krankenkassen mit ihren weiblichen Mitgliedern  modernisiert gehört. Aus zuverlässigen Quellen (=versicherten Personen) haben wir vernommen, dass üblicherweise alle Unterlagen an den männlichen Hausvorstand adressiert werden, auch wenn es sich um Angelegenheiten der Frau handelt. Kaum zu glauben, dass eine derartig rückwärts gewandte Behandlung im Jahr 2022, mithin > 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts noch praktiziert wird.