Nachlese zum Apéro Riche «Gewalt / Kindsmissbrauch»


von Mel Turner

 

Liebe Menschen-Frau*

am 24. September 2020 haben wir uns online zusammengefunden, um uns gemeinsam Gedanken zum Thema „Gewalt / Kindsmissbrauch“ zu machen.

Ich will dir hier eine Zusammenfassung unserer Gedanken dalassen und dich dazu einladen, dir deine eigenen Gedanken zu machen und diese in die Welt zu tragen und sie mit Freundinnen zu teilen.

Die wunderbare Ulrike Reiche hat uns ins Thema eingeführt. Dazu hat sie uns erläutert, wie sie zum Thema gekommen ist und hat uns eingeladen, über unsere eigenen Grenzen nach Indien zu blicken.

 

Das Frauenhilfe-Projekt in Chennai

Sie hat uns davon erzählt welche grossartige Arbeit das Frauenhilfe-Projekt in Chennai, Indien leistet. Diese kleine Gruppe von Frauen helfen „Burn-Opfern“, welche von ihren Familien und vom Staat verstossen werden, keine lebensnotwendige Unterstützung im Spital oder danach bekommen.

Normalerweise würde die Organisation diese Frauen und deren Kinder mit frischen Leinentüchern, Essen und Wasser versorgen, doch wegen der Corona-Situation ist zurzeit nur eine telefonische Betreuung möglich.

Falls du dir in letzter Zeit Gedanken gemacht hast, wie du ausserhalb der Schweiz helfen kannst, wäre hier ein Projekt, dass sich über jede Unterstützung freuen würde. Wende Dich dazu gern per  Mail  direkt an Ulrike.

Weiter hat uns Ulrike Zahlen aus Deutschland und aus der Schweiz gezeigt:

 

 

Agota Lavoyer an der feministischen Sondersession

Und dann haben wir uns einen Ausschnitt aus der feministischen Sondersession vom 11. September 2020 von Agota Lavoyer angesehen. Falls du ihren Beitrag noch nicht gesehen hast, dann tu es bitte jetzt. Der Beitrag dauert 7 Min und ABSOLUT sehens- und hörenswert. Hier ist der Link: https://www.facebook.com/523634918/videos/10158785668104919/?extid=0BpvcyvbFozEIy9j

 

Es ist mein Ernst, sieh es dir an!

 

Ulrike hat dann mit uns geteilt, wie sie mit Gewalt an Frauen umgeht, wenn sie ihr begegnet. Sie hat

  • ihre eigenen Gewalterfahrungen aufgearbeitet,
  • sich mit der systemischen Sicht auseinandergesetzt – Denken in Beziehungen: Wie habe ich Gewalt erlebt, wie hat meine Familie Gewalt erlebt, wie wird darüber gesprochen? Wird es verschwiegen?
  • sich eingesetzt, wo Frauen Frauen unterstützen und
  • sie ist aktiv im „Empower-net statt Diffamierung“ fem! – Projekt beteiligt

 

Diskussionsfragen

 

Es gibt also viele Wege aktiv zu werden und sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dazu wollten wir als Gruppe nun kommen.

Ulrike hat uns einige Fragen mitgebracht und die teile ich jetzt gerne mit dir:

 

Wahrnehmung:

  • Wie sensibel bin ich für Gewalt an Frauen & Kindern in meinem direkten Umfeld?

 

Kommunikation:

  • Wie kann ich „Vergewaltigungsmythen“ entkräften?

 

Wissen, Zahlen, Daten, Fakten:

  • Was weiss ich über die potenzielle Gewalt-Ausübungen?
  • Wen kenne ich überhaupt?
  • Wie viele Männer stehen den statistisch bekannten Opfern gegenüber?

 

Prävention und strukturelle Veränderung:

  • An welchen Stellschrauben müsste wohl gedreht werden?
  • Wer kann was tun?
  • Was kann/möchte ich tun?

 

Highlights unserer Diskussion

In der darauffolgenden Diskussion hatten wir zwei grosse Themen.

 

Das eine Thema war: Wie viele Täter kenne ich?

Lass mich hier kurz erwähnen, dass nicht nur Männer Täter sind, sondern auch Frauen an Gewalt gegen Frauen und Kindern beteiligt sind. Wir wollen uns hier nicht im Denken einschränken.

 

Zum einen haben wir uns Gedanken gemacht, dass wenn wir doch alle eine Frau kennen, die Gewalt erlebt hat, wir doch auch einen Täter kennen müssten. Wo sind diese Männer? Sprechen wir mit unseren Kollegen und Freunden darüber?

 

Was mir am eindrücklichsten geblieben ist, ist die Geschichte, die Zita mit uns geteilt hat. Sie hat uns von einer Aktion in den späten 80er Jahren erzählt, wo ein Forscher (Alberto Godenzi) am Radio Männer dazu aufgerufen hat, anzurufen und darüber zu berichten, wenn sie Frauen Gewalt angetan hätten. Es wurde garantiert, dass am anderen Ende ein Mann sitzen würde. Das Ganze fand in einer wissenschaftlichen Untersuchung statt.

Natürlich glaubte Zita nicht daran, dass sich da jemand melden würde. Aber tatsächlich wurden die Forscher überrannt mit Anrufern. Diese Männer erzählten den Forschern freimütig von ihren Straftaten und fühlten sich in keiner Form schuldig. Sie hätten mehr als ein Mal beteuert, dass es doch nötig gewesen wäre, so zu handeln.

Aus dieser Untersuchung ging ein Buch hervor: „Bieder, brutal“ von Alberto Godenzi, ISBN-13: 978-3-293-00159-6

Es kam die Frage auf, ob Männer mit anderen Männern über Gewalt an Frauen und Kindern sprechen und ob sie sich ihrer Schuld bewusst sind.

Weiter haben wir uns gefragt, wie man Männer dazu ermutigen kann darüber zu sprechen.

Und des Weiteren haben wir uns gefragt, wie man es kommunizieren kann, dass gewalttätiges Verhalten nicht ok ist und dass sich die Männer dafür zu verantworten haben.

Die Delfina Frauen

Eine Teilnehmerin hat sich dann geöffnet und uns berichtet, dass Frauen auch ohne Männer über erlebte Gewalt sprechen können. In Zürich gab es die Möglichkeit mit anderen Frauen an einem geschützten Ort zu treffen und über ihre Erlebnisse zu sprechen. Es haben sich 25 Frauen gefunden, die bereit waren ihre Geschichte zu teilen und in gemeinsamer Arbeit ist eine Ausstellung und ein Buch entstanden, in dem jene Geschichten geteilt und gezeigt wurden. Es war den Frauen wichtig im Vorfeld miteinander zu sprechen, wie es ihnen damit geht ihre Geschichten und Bilder zu teilen und was es mit ihnen macht diese zu hören und zu sehen.

Das Buch heisst „Delifna-Frauen; Vom Überleben zum Leben – Sexuelle Ausbeutung von Mädchen.“ ISBN: 3905493837

 

Das andere grosse Thema war: Was können wir tun, wenn wir Gewalt beobachten?

Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, wo wir Gewalt beobachten konnten oder können. Sei es in der Familie, bei den Nachbarinnen oder in der Schule.

Es hat uns beschäftigt welchen Handlungsraum wir haben, welches die beste und vor allem sicherste Weise wäre zu helfen und evtl. einzugreifen.

An wen können wir uns richten, wenn wir Gewalt beobachten?

Welche Konsequenzen hat es, wenn die Familie, die Nachbarin oder Kinder involviert sind?

Zita hat uns dann noch auf die HEH- Kampagne der Zürcher Polizei hingewiesen: hinschauen – einschätzen – handeln.

Uns war vor allem der „einschätzen“-Teil wichtig und dass gerade „handeln“ nicht immer so einfach ist, wie man eben denkt.

Letzte Anmerkungen

Wichtig war es uns, noch einmal darauf hinzuweisen, dass Kinder 8 Anläufe brauchen, bevor sie gehört werden. Das heisst, dass sie 7 Mal etwas sagen und die Grossen es nicht hören. Es ist also essentiell, dass wir besonders gut hinhören, wenn Kinder Dinge wie: „Muess me Sömli schlucke?“ fragen, nicht nur mit: „Sicher nicht, Sömli düemer im Garte pflanze“ reagieren, sondern vielleicht auch das Undenkbare in Betracht ziehen.

 

Ich würde noch gerne hinzufügen, dass Gewalt nicht immer körperlich oder sexuell ist, sondern manchmal auch seelisch. Aus eigener Erfahrung finde ich es wichtig, dass wir Kindern, die wir im Verdacht haben, ein schwieriges Zuhause zu haben, einen sicheren Raum zu bieten, wo sie so sein können, wie sie sind und wo sie nicht unter Druck stehen. Vielleicht finden wir sogar ein paar Worte zur Stärkung und Worte, die darauf hinweisen, dass wir wissen, dass ihr Zuhause nicht normal ist. Hoffentlich ermutigt das ein Kind, vielleicht früher etwas zu sagen.

 

Der Abschluss

Es gibt noch viel zu tun und wir sind auf dem richtigen Weg. Ich hoffe sehr, dass dir dieser Post einige Inspirationen und Denkanstösse gegeben hat. Hoffentlich bist du gesund und hast die Kraft dich aller deiner Herausforderungen anzunehmen. Und wenn nicht, ist das auch ok.

 

Buchempfehlungen aus dem Treffen

Godenzi, Alberto: „Bieder, brutal; Frauen und Männer sprechen über sexuelle Gewalt“ Broschur, 1989

ISBN-13: 978-3-293-00159-6

http://www.unionsverlag.com/info/title.asp?title_id=143#pagetop

 

Clemm, Christina: „AktenEinsicht; Geschichten von Frauen und Gewalt“ Verlag Antje Kunstmann, 2020

ISBN: 978-3-95614-357-1

https://www.kunstmann.de/buch/christina_clemm-akteneinsicht-9783956143571/t-0/

 

„Delfina-Frauen; Vom Überleben zum Leben; Sexuelle Ausbeutung von Mädchen“ Efef 1994

ISBN-10 : 3905493837

https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Angebote/autor=Delfina-Frauen&titel=Vom+%C3%9Cberleben+zum+Leben+-+Sexuelle+Ausbeutung+von+M%C3%A4dchen

Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann der Stadt Zürich

 

Emcke, Carolin: „Ja heisst ja und …“ Fischer, 2019

ISBN: 978-3-10-397462-1

https://www.fischerverlage.de/buch/carolin-emcke-ja-heisst-ja-und-9783103974621